Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan türkischstämmige Bürger in Deutschland dazu aufgerufen hatte, bei der kommenden Bundestagswahl die Parteien CDU, SPD und Grüne zu boykottieren, herrschte unter den Deutschtürken Rätselraten, wem sie am 24. September ihre Stimme geben sollten. Nun hat Erdoğan diese Frage selbst beantwortet, indem er sich neuerlich in die deutsche Innenpolitik einschaltete und eine explizite Wahlempfehlung abgab: Er rät seinen ‘Brüdern und Schwestern in Deutschland’, bei der Bundestagswahl ihr Kreuz bei der Alternative für Deutschland zu machen!
Auch die meisten Medien und politischen Beobachter hatten sich nach dem Wahl-Boykott-Aufruf Erdoğans die Frage gestellt, welche Parteien für die türkischstämmigen Bürger noch übrig blieben: Die CSU, so der Tenor, sei wohl von Erdoğan taxfrei einfach der CDU zugerechnet worden, und die restlichen Parteien konnten auch nicht gerade als AKP-Sympathisanten bezeichnet werden. So gesehen waren sich Insider einig, dass der Aufruf des türkischen Präsidenten in Wahrheit einem kompletten Wahlboykott gleich gekommen wäre. Umso überraschender daher die plötzliche AfD-Wahlempfehlung aus Ankara!
Doch wenn man sich näher ansieht, wofür die AfD steht, wird die Unterstützungserklärung Erdoğans für ‘seine Landsleute’ durchaus plausibel: Die AfD betont immer wieder, dass sich viele im eigenen Land fremd fühlen. Diese Botschaft spricht einem Großteil der Deutschtürken wohl aus der Seele. Was die Haltung zu Europa betrifft, sieht sich der türkische Präsident mit der Europa-Skepsis der AfD auf einer Linie. Auch die Sehnsucht vieler AKP-Sympathisanten nach einem starken Mann deckt sich mit den Vorstellungen der meisten AfD-Wähler.
Und natürlich schadet jede Stimme für die AfD in erster Linie Angela Merkel. Der Aufruf Erdoğans kann insbesondere als Retourkutsche an die Kanzlerin verstanden werden, die sich erst unlängst gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen hatte. Je weniger Zuspruch die deutsche Kanzlerin bei der Wahl erhält, desto rechter kann es Erdoğan nur sein. Und bei rund drei Millionen Bürgern, deren familiäre oder religiöse Wurzeln in der Türkei liegen, darf sich die AfD auf Grund der unerwarteten Schützenhilfe aus Ankara bei der Bundestagswahl nun durchaus berechtigte Hoffnungen machen, Martin Schulz und seiner SPD – und somit Platz 2 – gefährlich nahe zu kommen. Wird diese Wahl doch noch einmal spannend?