Für manchen politischen Beobachter war es einigermaßen überraschend, wie lange sich die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP im Wahlkampf damit Zeit gelassen haben, ehe sie ihre Kernkompetenzen in den Vordergrund rückten. Andererseits ist es taktisch wohl nicht unklug, mit jenen Stärken im Wahlkampf-Finish punkten zu wollen, welche die beiden Koalitionsparteien über die letzten Jahren hinweg ausgezeichnet haben: Wadlbeißen, gegenseitige Vorwürfe und Beschuldigungen, Unterstellungen, Neid und Misstrauen. Doch kommt der plötzliche Sinneswandel und das Hin zu mehr Authentizität noch rechtzeitig genug?
Wochenlang dümpelte der Wahlkampf der beiden ehemaligen Großparteien eher schläfrig dahin. SPÖ und ÖVP versuchten sich in erster Linie an Themen, die nicht unbedingt zu ihren Kernkompetenzen gehören oder für die während der lästigen Regierungsarbeit nicht genügend Zeit übrig geblieben war: Bildung, Verwaltungsreform, Sicherheit oder Soziales. Auch bei den unzähligen TV-Konfrontationen ließen die beiden Spitzenkandidaten Christian Kern und Sebastian Kurz jene Talente, mit denen ihre Parteien in der Vergangenheit das politische Tagesgeschehen geprägt hatten, nur selten aufblitzen.
Erst die Groteske um die Anti-Terror-Mauer am Ballhausplatz ließ erahnen, dass die heiße Phase des Wahlkampfs für die Nationalratswahl eingeläutet wurde und sich Rot und Schwarz endlich auf jene Fähigkeiten zu konzentrieren begannen, in denen die Regierungsparteien und ihr Personal regelmäßig geglänzt hatten. Mit der aktuellen Dirty-Campaigning-Affäre und dem Streit, wer wen zuerst angepatzt hat, haben den Wahlkampf endlich jene Themen erreicht, die den Österreicherinnen und Österreicher tatsächlich unter den Nägeln brennen und für die sie sich zukunftsweisende Antworten von der nächsten Regierung erwarten.
Für Politikberater Thomas Hofer war es jedenfalls höchste Zeit, dass SPÖ und ÖVP ihre Parade-Disziplinen im Wahlkampf in den Vordergrund gerückt haben: “Es ist schwer zu sagen, ob die gegenseitigen Schmutzkübeln noch rechtzeitig genug vor der Nationalratswahl gekommen sind. Der bisherige Wahlkampf und die Themensetzung von beiden Parteien war ja eher unglaubwürdig. Mit dem aktuellen Wadlbeißen und dem Ankündigen von Klagen sind SPÖ und ÖVP endlich dort angelangt, wo sie höchst authentisch sind. Ob dieser Endspurt allerdings nicht ein wenig zu spät kommt, wird sich wohl erst nach dem 15. Oktober zeigen!”